Am 07. und 08.12.11 wurde im StudententInnentheater an der Universität Regensburg (Elly Maldaque Theater) das Ge-meinschaftsprojekt von
ue-Theater und Cloudtells
hochschuldiktatUR aufge-führt. Unsere Autorin Marion Schmid hat über die Aufführung am 08.12.11 einen Artikel ge-schrieben:
hochschuldiktatUR: Forumtheater zum Thema „Bildung“.
Aha. Ich weiß am Anfang nicht so ganz, was ich mir darunter vorzustellen habe, die facebook-Einladung hilft weiter: „Forumtheater ist eine höchst demokratische, aber auch höchst politische Art, Theater zu machen. Zunächst werden Szenen auf der Bühne dargestellt, die einen unerwünschten Zustand problematisieren. In einem zweiten Durchgang haben die Zuschauer die Möglichkeit, eine glücklichere Lösung herbeizuführen. Jedes Forumtheater ist spannend, jedes Forumtheater ist anders.“
Spannend und anders also. Ansehen kann ich mir das ja mal. 3,80 Euro kostet mich der Eintritt – eine Investition, die sich nun auch bitte lohnen soll.
Von Frankfurt, München und Heidelberg abge-watscht
Also los. Nach einer kurzen Einführung der Moderatorin in das Konzept zum Forumtheater: Spot an. Ein junger Mann sitzt auf einem Stuhl in der Mitte der Bühne. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, ab und an die Haare raufend. Bis es klopft: Die Post ist da. Bevor der angehende Student den Brief in den Händen halten kann, kassiert er allerdings erstmal ein lautes Nein und eine gesalzene Ohrfeige. Nicht nur einmal. Warum? In jedem Brief die Absage einer anderen Hochschule. Frankfurt, Heidelberg, München. NC nicht erreicht. Das war's. Aus der Traum vom Biologie-Studium. Der Student entscheidet sich für Jura. Kein NC gefordert. „Dann werd ich halt so 'n Paragraphenfuzzi!“.
Was nun folgt: die obligatorische Wohnungssuche für jede und jeden, der oder die zu Beginn des Studiums eine Wohnung sucht. Natürlich erst sehr spät, man musste ja zunächst noch die Absagen der NC-Fächer abwarten und sich dann für eines der übrig gebliebenen Studienfächer entscheiden. Nun also der Besichtigungstermin. „Aufstehen“ steht auf einem Schild, dass am Bühnenrand hochgehalten wird. Und schon findet sich das Publikum in einem kleinen Ein-Zimmer-Appartement mit zwei Kochplatten und einem Bad ohne Fenster wieder. Eng ist es, die Maklerin quetscht sich durch die Reihen und schmettert kritische Rückfragen mit einem einfachen „Wenn Ihnen was nicht passt, müssen sie die Wohnung ja nicht nehmen“ ab.
Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!
Knapp 500 Euro kalt für ein Zimmer so groß wie eine Schuhschachtel. Das Publikum murmelt. So einige werden wohl an ihre eigenen Erfahrungen erinnert. Man plaudert etwas aus dem Nähkästchen. Doch da wartet auf der Bühne schon die nächste Szene und Hürde für die Studierenden: Überfüllte Kurse, zu viele Anmeldungen für Seminare und die von der Universität vorgeschlagene Lösung: um den Platz streiten, wer zu erst kommt mahlt zuerst und nicht zu vergessen: manche Kurse gibt’s überraschenderweise nur für bestimmte Semester. Exemplarisch dargestellt am Beispiel der Vergabe der Seminarplätze für Studierende der Germanistik. Ein Haufen junger Menschen schmeißt sich übereinander und versucht, den letzten Seminarplatz zu ergattern, den sich dann doch ein Student gemütlich pfeifend abholt: schließlich erfüllt er ja das Kriterium, schon im fünften Semester zu sein.
Auch der Situation zwischen Professor und Dozentin und wiederum die zwischen Dozentin und wissenschaftlicher Hilfskraft sind zwei Szenen gewidmet. Die leidige Neugestaltung der Institutshomepage im uni-üblichen Corporate Design soll die vom Professor als gutaussehend beschriebene Dozentin übernehmen, die sich selbst vor Arbeit nicht retten kann. Die wiederum übergibt den Job an eine wissenschaftliche Hilfskraft, die sich ebenfalls vor Arbeit nicht retten und noch dazu nicht richtig wehren kann.
Natürlich darf auch eine Szene über die finanzielle Lage der Studierenden nicht fehlen. Die wissenschaftliche Hilfskraft erklärt ihren KommilitonInnen, dass ihr für einen Flug mit ihrem Professor für Studienzwecke nach Finnland zwar 250 Euro vom Institut genehmigt wurden, das Geld aber nicht ausreiche. „Was? Du kriegst für die Reise 250 Euro von MEINEN Studiengebühren?“ ist die entrüstende Antwort eines Mitstudenten.
„Machen Sie doch, was Sie wollen. Sie shoppen eh die ganze Zeit!“
Studiengebühren. Natürlich wird auch diese Thematik behandelt, wenn auch auf eine etwas andere Art. In einer Vorlesung fragen Studierende ihren Dozenten, ob man nicht die Vorlesung in der kommenden Woche für eine Demo gegen Studiengebühren ausfallen lassen könnte. Doch mit einem Blick auf die Uhr und dem Hinweis „SIE wollen ja schließlich die Prüfung schaffen, nicht ich“ wird die Bitte herbe abgeschmettert. Schließlich müssen die Studierenden das selber entscheiden. „Machen Sie doch, was Sie wollen. Dann gehen Sie Kaffeetrinken oder auf die Demo. Oder shoppen.“ Und mir einem Fingerzeig in die Reihen: „Sie shoppen doch eh die ganze Zeit. Auf Wiedersehen.“
Ein schauspielerisches Highlight der Aufführung: Eine Szene, in der eine Prüfungssituation dargestellt wird. Colloquium: Zwei Studentinnen und ein Student werden von ihrem Professor zur pädagogisch-psychologischen Diagnostik geprüft. Die offensichtlich gut vorbereitete Studentin klagt über große Bauchschmerzen und bricht schließlich unter den herablassenden Blicken und egoistisch-unverschämten Kommentaren ihrer Mitprüflinge weinend zusammen. Der Prüfer tut es als lächerlich ab und fragt die Studentin mehrmals, ob sie nicht lieber zugeben wolle, dass sie nicht gelernt habe. Schließlich soll sie das Büro verlassen und einen Arzt aufsuchen. „Wenn sie diese schauspielerische Leistung wiederholen können...“ Empathische Blicke aus dem Publikum, die jedoch zugunsten der nächsten Szene lauten Lachern weichen. Zum CanCan von Offenbach machen sich sechs StudentInnen auf zu einer Reise nach Jerusalem. Aufgeregtes Laufen um einen Stuhl, auf dem der „Letzte Masterplatz“ ausgeschrieben ist.
Natürlich darf auch Kritik an der fehlenden studentischen Mitbestimmung nicht fehlen. Dargestellt durch eine Senatssitzung. Drei Studierende auf den wenigen Plätzen sind den ProfessorInnen und wissenschaftlichen sowie sonstigen MitarbeiterInnen gegenübergestellt, die wieder einmal vom Publikum repräsentiert werden. Studentische Anträge wie Senkung der Studienbeiträge oder Hin zum Ökostrom werden lediglich von den Studierenden mit einem „Angenommen“ abgestimmt. Vorschläge wie der von Prof. Dr. Schinkenkopf jedoch zur Anschaffung von Notfallbeamern für jeden Hörsaal werden einzig und allein von der Studierenden abgelehnt. So haben es die Regieanweisungen vorgegeben. Und das Publikum ist bis auf wenige Ausnahmen folgsam.
Wie funktioniert eigentlich das Deutschland-stipendium?
Auch dem heiß diskutierten und viel kritisierten Deutschlandstipendium widmete das Forumtheater eine Szene. Kanzler Dr. Blaumüller, Prorektor Dr. Schluchter und Herr Leubl von der Firma Heckler und Koch sitzen an einem Tisch mit einem studentischen Vertreter. Die Vergabe von Stipendien an Studierende, die sich aufgrund ihrer Noten besonders verdient gemacht hätten liegt nun auf dem Tisch. Herr Leubl sortiert nach Studienfach, schließlich investiere mal hier. „Wer braucht denn schon Philosophie? Wir brauchen das in unserer Firma nicht.“ Prorektor und Kanzler nicken alles ab und der studentische Vertreter wird schließlich aufgrund seiner Kritik an dem Vertreter aus der Waffenindustrie der Sitzung verwiesen.
Die abschließende Szene heißt „Elitäre StudentInnen“. Schauplatz: Eine Party, verschiedene Grüppchen, der Bachelor-Abschluss ist in der Tasche. Was sind das eigentlich für Leute: Studenten und Studentinnen? Saufen die nur? Oder studieren die tatsächlich? Halten sie sich sogar für was Besseres? Man weiß es irgendwie nicht... Die Fragen kann sich allerdings nur jeder selbst beantworten. Das Stück endet mit dem Einspielen von Fick die Uni der Antilopengang.
Mit diesen Eindrücken verabschiedet man das Publikum in die Pause: „Diskutiert fleißig!“ Schon zu diesem Zeitpunkt haben sich meine 3,80 abgezahlt. Selten so gelacht bei einem Theater und gleichzeitig mal eine Träne verdrückt. Erinnerungen an die eigene Anfangszeit des Studiums kommen hoch, an die letzten Monate und und und...
Spannend und anders: so ist Forumtheater
Doch es sollte ja nach er Pause nochmal richtig los gehen. Jetzt ist das Publikum dran. Drei Szenen werden nacheinander nochmals angespielt – Meldungen aus dem Publikum ausdrücklich erwünscht! Und dann? Tja, dann sollte man einen Schauspieler oder eine Schauspielerin austauschen und der Szene seinen eigenen Stempel aufdrücken, eine neue Wendung anstreben. „Wenn ihr Gewalt anwenden wollt, in irgendeiner Art und Weise, dann gebt uns bitte vorher Bescheid. Das nur als kleiner Hinweis“, so ein Schauspieler. Danke für den Hinweis, denn ab und an hatte ich beim Anblick von ungerechten DozentInnen und unsolidarischen KommilitonInnen auf der Bühne tatsächlich des öfteren die Hand zur Faust geballt.
Interessant vor allem bei der Szene über das Deutschland-stipendium: Nach mehrmaligem Austauschen des studentischen Vertreters, von dem sich das Publikum mehr Durchsetzungskraft und Nachfragen wünschte, ließ sich nun eine Zuschauerin für den Kanzler austauschen. Die vorher für das Stipendium abgelehnte Philosophie-Studentin ergatterte nun doch einen Platz auf der Liste von Herrn Leubl, denn Kanzler Blaumüller outete sie als seine Nichte. Und mit ein bisschen privater Aufwands-entschädigung ließe sich da schon was machen. Vetternwirtschaft an der Universität Regensburg.
Auch die Prüfungssituation wurde erneut angespielt. Mehr Verständnis vom Prüfer und ein solidarischeres Miteinander unter den Prüflingen wurde hier gefordert.
Letzte nochmals angespielte Szene war die Situation in der Vorlesung, in welcher die Studierenden den Professor gebeten hatte, die Veranstaltung zugunsten der Demonstration ausfallen zu lassen. Hier war das Publikum besonders gefordert, denn nun war mit einem Male jede und jeder TeilnehmerIn der Vorlesung. Es wurde auf den Stühlen herumgeklopft, der Professor kam vor lauter Zwischenrufen nicht zum Reden. Die Bandbreite reichte von „Sie werden doch auch aus Studiengebühren finanziert!“ über „Gehen Sie doch selber auch mit!“ bis hin zu „Also MEINE Eltern zahlen meine Gebühren. Warum sollte ich auf eine Demo gehen?“. Bevor die Szene in ein lautes Spektakel ausarten konnte, beendete die Moderation das Schauspiel gekonnt: „Ich denke, wir haben nun alles gehört und können zur Abschlussdiskussion übergehen.“ Nun wurde rekapituliert. Was hätte man anders machen könne, welche Vorschläge haben vielleicht gefehlt? Auf welche Themen wurde zuwenig eingegangen?
Thema getroffen und Erwartungen übertroffen
Beendet wurde das Forumtheater um 22 Uhr. Leider. Ich hätte gerne noch mehr gesehen. Die Mitwirkenden bekamen viel Applaus und hier und da sogar ein paar stehende Ovationen.
Wir haben zusammen gelacht, gelitten und viel, viel diskutiert. Jeder Teilnehmende konnte neue Ideen sammeln und entwickeln, seine eigenen einbringen. Das ist also ein Forumtheater. Spannend und anders – die Beschreibung war absolut richtig. Das Thema „Bildung“ in der hochschuldiktatUR: getroffen. Mein Erwartungen hat das Theater sogar übertroffen. Ich muss ehrlich sagen, dass dieses Forumtheater das Coolste war, das im Bereich der Hochschulpolitik im vergangenen Jahr hier an der Uni passiert ist. Für mich jedenfalls.
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Information: Alle, die hochschuldikatUR nicht besuchen konnten, werden in absehbarer Zukunft möglicherweise die Chance bekommen dies nachzuholen. Wir halten unsere LeserInnen auf dem Laufenden.
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